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Wohnen in Reflexionen: Auf der Suche nach Heimat hier und dort
„Wenn das Wandern als die Gelöstheit von jedem gegebenen Raumpunkt der begriffliche Gegensatz zu der Fixiertheit an einem solchen ist, so stellt die soziologische Form des „Fremden“ doch gewissermaßen die Einheit beider Bestimmungen dar“
––– Georg Simmel; Excursus über den Fremden
„A city-dweller lives in his city the way a hermit crab lives in its shell. ‘So where am I?’ In, and through and partly thanks to my shell “
–––– Bruno Latour; After Lockdown
Die deutsche Sprache hat ein Wort, das ein Konzept zusammenfasst, für das mir im Persischen ein Begriff fehlte: Fernweh. Anders als Heimweh, das die Sehnsucht nach der Heimat beschreibt, bezeichnet Fernweh eine Sehnsucht nach fernen Orten, ein Verlangen, anderswo zu sein. Wenn Migration die bewusste oder dringende Suche nach einer neuen Heimat bedeutet, verschmelzen diese gegensätzlichen Emotionen miteinander und verwischen die Grenzen zwischen Fern und Nah,
Rückkehr und Aufbruch. Inmitten dieser sich überlappenden, vielschichtigen Konflikte fordert Migration—unabhängig von ihrer Ursache oder Motivation—die Akzeptanz von ständiger Angst, Desorientierung und einer kontinuierlichen Anpassung an ein Leben im Schatten, das von unzähligen externen Lichtquellen
abhängt.
Meine Reise von Iran/Teheran nach Deutschland/Eichstätt für mein Promotionsstudium fiel in eine turbulente Zeit: die Pandemie, die das urbane Leben auf der ganzen Welt in eine beispiellose Ära führte; die blutigen politischen Unruhen im Iran, bei denen viele meiner FreundInnen verfolgt und inhaftiert wurden; und persönliche Verluste, darunter der Tod meiner Großeltern, eines Kindheitsfreundes und eines geliebten Lehrers, dessen Einfluss auf mich unaussprechlich war. Diese Ereignisse stürzten mich in einen Zustand, in dem zwei Länder aufeinanderprallen—Länder, die mich gleichzeitig verbannen, mich in entgegengesetzte Richtungen ziehen, mich zur Rückkehr locken und zum Aufbruch drängen. Mit der Zeit erkannte ich, dass meine alltäglichen Fotografien, scheinbar banal, instinktiv dieses Gefühl einfingen. Rückblickend spiegeln diese Bilder—aufgenommen mit meinem Handy in Deutschland und während kurzer Besuche im Iran sowie an anderen Orten, die ich für Konferenzen bereiste—eine unbewusste Suche wider, mich selbst inmitten von Schatten und Reflexionen in (un)vertrauten urbanen Kontexten neu zu verorten. Das Leben aus der Distanz zu beobachten, oft hinter Vorhängen und in überlappenden Spiegelungen, zeigt eine Neugier und Sehnsucht nach dem, was sich hinter geschlossenen Türen und Fenstern verbirgt—wo sich die Essenz des Lebens jenseits der Reichweite und Sichtbarkeit entfaltet und darauf wartet, neu (wieder)entdeckt zu werden.
Diese Ausstellung ist ein aufrichtiger Versuch, diese unbewusste Erfahrung anzuerkennen und zu entschlüsseln, um eine Versöhnung zwischen den widerstreitenden Welten in mir zu suchen, die beide gleichzeitig als „hier“ und „dort“ existieren.
Eichstätt
2019-24